Markus Raetz - Ein Film von Iwan Schumacher

Ein sich windendes Nichts dreht sich langsam um sich selbst. Und plötzlich wird aus dem Nichts ein Gesicht, immer präziser. Doch kaum erfasst, lösen sich die Züge wieder auf. Eine kleine Schöpfungsgeschichte in ein Stück Draht gefasst, real und virtuell zugleich. Weisheit sei das Wissen um die Endlichkeit des Lebens, mag es einem durch den Kopf blitzen.

Bevor wir beim Betrachten zu tief ins Sinnieren geraten, holt uns der ruhige, forschende Blick von Markus Raetz (*1941) in die Realität seines Ateliers zurück. Taucht der Künstler zu Beginn des Films unvermittelt hinter einer Mauer auf, so scheint er am Schluss beim Prüfen eines Modells in dieses ab und weg zu gleiten. Dazwischen werden wir während 75 Filmminuten in einem sanften Sog durch sein Denken und Schaffen geschleust.

Als Leitmotiv zieht sich die Entstehungsgeschichte einer Drehplastik durch die Erzählung: Der Raum zwischen zwei kreisenden Zylindern wird zur Bauchtänzerin. Die Genese dieser wundersamen Figur, ausgehend von einem Foto von Man Ray und einer Bewegungsstudie, wird über viele Einstellungen nachgezeichnet. Immer wieder nimmt Raetz die Arbeit an den Holzzylindern auf, versetzt sie in Drehung, feilt an den Formen, bis die Tänzerin die Hüfte zu kreisen beginnt. Wird dann endlich die Skulptur im Feuer speienden Ofen in Bronze gegossen, fiebern wir mit, als hätten wir selbst über Monate am Modell geschliffen.

Markus Raetz - einer der bekanntesten Künstler seiner Generation - umgibt die Aura eines geheimnisvollen Magiers. Eine distanzierte Nähe spricht aus den Filmaufnahmen, welche die Persönlichkeit umkreisen, so wie Raetz seine Materialien auslotet und formt. Sein Atelier im Obstberg in Bern - ein Vivarium hängender Modelle und beweglicher Versuchsanordnungen - erweist sich dabei als ideale Szenografie. Hier zeigt sich der sonst eher zurückhaltende Künstler als feinsinniger Vermittler seiner künstlerischen Anliegen: «Ich fand das Motiv der Gesichter immer interessant, weil man als Mensch wahrscheinlich die präziseste Wahrnehmung im Hinblick auf Gesichter hat. Ich kenne kein anderes Motiv, das man so fein differenzieren kann. Das Gesicht ist wirklich ein System von Zeichen, das man schon als Kleinkind lesen lernt.» Eindringlich sind auch die Erläuterungen seiner Frau Monika zu seiner Arbeitsweise und zur Bedeutung des Faktors Zeit: «Einfach hingehen, und plötzlich ist da ein Faden, den er aufnehmen kann und es entsteht wieder etwas.»

Der Regisseur und Kameramann Iwan Schumacher hat bereits Filme über Max Bill und Jean Odermatt gedreht und arbeitet seit 2004 an einer Langzeitstudie über Felix Lehners Kunstgiesserei in St. Gallen. Er ist mit Markus Raetz seit den 60er-Jahren befreundet und zeichnet nun für das Buch, die Regie und - in Kooperation mit dem ebenfalls kunsterprobten Pio Corradi - für die Kameraführung. Die langjährige Vertrauensbasis macht es wohl aus, dass wir uns wie selbstverständlich an der Hand nehmen lassen und das Kino mit dem Gefühl verlassen, wir hätten neue Freundschaften geschlossen.

Claudia Jolles, Kunstbulletin 9/2007