Premiere: Markus Raetz im Kino
Kennen Sie das Huthase-Hasehut-Prinzip? Wer die «Metamorphose II (Beuys/Hase)» auf ihrem hohen Säulensockel im Kunsthaus einmal gesehen hat, weiss, was das Werk von Markus Raetz ihm abverlangt: aktive Annäherung und Distanznahme. Vor dem Erkennen steht das sich Bewegen – ein Prinzip, das der Künstler für sich beansprucht und an den Betrachter weitergibt.
Regisseur Iwan Schumacher hat dem in Bern lebenden Zeichner und Bildhauer (Jg. 41) über die Schulter geschaut. Herausgekommen ist ein 75-minütiges, präzises Porträt eines Künstlers, der Arbeit als Unterhaltung versteht und sich nicht scheut, seine Motivation offenzulegen.
Die Form von «Kopflose Mühle» (2003), einem rotierenden Werk, in das die Kamera den Zuschauer förmlich hineinzieht, ist von einer Zeichnung Piero della Francescas inspiriert. In den eingestreuten Interview-Sequenzen erklärt Raetz seine Arbeitsweise. Die Ergebnisse zu interpretieren, überlässt er anderen. Es ist die Spannung im Entstehungsprozess, die ihn antreibt. Süchtig sei er danach, sagt er, und fräst Holz, wickelt Draht oder klebt Karton, bis seine Geduld erschöpft ist.
Während der Dreharbeiten entsteht eine zweiteilige Skulptur, die später «Ohne Titel, nach Man Ray» genannt wird. Der Raum zwischen den Säulen ist einem weiblichen Akt nachempfunden, der vom Standbein aufs Spielbein wechselt. Raetz hat die Abbildung in einem Magazin gefunden, das Arbeiten von Man Ray publizierte. Statt Fotos setzt Raetz Linien und Konturen ein und schafft Zwischenräume, in denen sich das Auge des Betrachters verläuft, bis es an einer ihm bekannten Form festmacht. Das Objektiv der Kamera ermöglicht, ohne den im Museum geforderten Sicherheitsabstand auf das Mobile aufzuspringen. Ein Genuss. Raetz selber testet den Effekt im hinteren Teil seines Ateliers. Nur durch ein Oberlicht erhellt, wird hier der Charakter einer Ausstellungshalle simuliert, in der sich das Werk behaupten muss.
Später sehen wir den Künstler an seinem zweiten Wohnsitz in Ramatuelle. Die Kamera verfolgt ihn beim Aufbau seiner Ausstellungen im Kunsthaus Aarau und in Nîmes. Weiter führt die Spurensuche nach Amsterdam. Dort erinnert sich Ad Petersen, ehemals Kurator am Stedelijk Museum, an Begegnungen mit Raetz. 1969 hatte dieser das «stiere» Bern hinter sich gelassen. Seine Frau Monika erzählt, dass er in Holland Comics und japanische Holzschnitte entdeckte. Das gab seiner Leidenschaft fürs Zeichnen Auftrieb und führte hin zu Trickfilmen. In der Arbeit «Eben» beginnen sich Figuren und Linien zu bewegen. Die Animation ist im Film mit jazzig-elektronischer Musik von Stephan Wittwer unterlegt. Diese audiovisuelle Koppelung weckt Assoziationen an frühe TV-Spiele vor dem heimischen Bildschirm und ist eines der Highlights, die Iwan Schumacher in seine Dokumentation integriert. Dann taucht die Kamera ein zwischen die Seiten der Raetz’schen Skizzenbücher und wir begegnen Mickey Mouse, wie sie aus schwarzen Gartenschläuchen gewoben, im Zentrum einer raumfüllenden Installation «Planetarium» steht. Ist Raetz ein Komiker?
Iwan Schumacher präsentiert Markus Raetz als einen äusserlich gelassen wirkenden Intellektuellen, der innerlich vor Ungeduld brennt und bei allem hinterfragt: ist das wirklich die einzige Art, eine Sache zu sehen? Der Filmemacher hat das Zaudern und das Feuer seines Gegenübers gespürt, denn er kennt sich aus mit Menschen und weiss deren Charakter ins Bild zu setzen. Mit Patrick Frey hat Schumacher über 100 Sendungen «C’est la vie» produziert. Und für seine 2004 begonnene Langzeitstudie über die Kunstgiesserei in Sankt Gallen begibt er sich ständig an Orte, wo künstlerische Konzeption und handwerkliches Können verschmelzen.
Wer ein Raetz’sches Original gesehen und sich auf dessen räumliche Erschliessung eingelassen hat, darf sich jetzt entspannt zurücklehnen. Das zweidimensionale Bild und der fixe Ausschnitt, der beim Filmen vorgegeben ist, erzeugen eine Konzentration auf das Werk und seine Bewegung, die sonst in keiner Ausstellung möglich ist. Markus Raetz kennen, heisst sein Werk aus vielen Perspektiven gesehen zu haben. Der Film ist eine davon – eine wichtige.
Björn Quellenberg KUNSTHAUSMAGAZIN 04/07